Reisetagebuch

Dieses Reisetagebuch ist auf meiner letzten und wohl härtesten Tour entstanden.

9 Tage Dschungeltour in Malaysia ...

Ich habe es eins zu eins übernommen, um euch die Eindrücke so näher zu bringen, wie ich sie damals empfunden habe. Ihr werdet feststellen, wie meine Eintragungen sich im Laufe der Tour je nach Stimmungslage verändern. Da ich nicht immer sofort das Tagebuch führen konnte, sind einige Teile in der Vergangenheit und andere Teile in der Gegenwart geschrieben. Ich bitte um euer Verständnis.

14.04.1999
Aufregung macht sich seit Stunden schon in meiner Magengegend bemerkbar. Mein Sitznachbar ist ein Kölner Geschäftsmann, der Textilien einkaufen möchte. Die Gespräche mit ihm mindern meine Nervosität nicht. Habe ich mich richtig vorbereitet? Jeder hat mir davon abgeraten. Ich habe mich im Vorfeld sogar mit amerikanischen Soldaten unterhalten, die in Korea oder Vietnam gewesen waren. Einhellige Aussage dieser harten Jungs: NIE WIEDER, NICHT UM ALLES GELD DER WELT. Und ich wusste, dass Malaysia noch schlimmer sein sollte.

Als endlich die Maschine auf dem Flughafen ausrollt, legt sich meine Nervosität. Jetzt bin ich nicht mehr zum Stilsitzen verdammt und kann handeln. Das beschäftigt mich erst einmal.

Eine feuchtwarme Luft schlug mir auf der Gangway entgegen. Ich wurde von Panshab, einem Malayen, der mich führen sollte, abgeholt. In gebrochenem Englisch erklärte er mir, dass ich eine Nacht im Hotel bleiben solle und morgen früh ginge es dann los. Er musterte mich, als ob er immer noch nicht glauben konnte, dass ein Milchgesicht wie ich eine solche Tour starten wollte. In mir reifte der Entschluss, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Schließlich habe ich mich allein durch Alaska geschlagen, habe den großen Erg in Nordafrika durchquert und den Regenwald in Venezuela erforscht.

15.04.1999
Eintrag 6:30 Uhr - Was für eine sch... Nacht. Ich habe kaum ein Auge zugemacht. Die Hitze, der Lärm von der Hauptstraße, das unablässige Drehen des Ventilators und die Warterei. Es ist 6:30 Uhr, ich werde einmal zusehen, dass ich ein anständiges Frühstück bekomme. Gegen 8 Uhr will mich Panshab abholen.

In einem alten klapprigen Jeep fahren Panshab, ein mir unbekannter, betelnusskauender Fahrer und ich über die schlammige Piste Richtung Norden. Panshab erklärt mir mit Händen, Füßen und etwas Englisch, dass wir in etwa sieben Kilometern anhalten werden und uns von dort in "die Büsche" schlagen wollten.

In den kommenden neun Tagen wollten wir eine Strecke von 135 km quer durch den Dschungel zurücklegen, bis zum Dorf Hua Shin, wo wir dann wieder abgeholt werden sollten.

Eintrag 19:30 Uhr - Endlich waren wir da. Als der Jeep stehen blieb, bekam ich einen ersten Eindruck von dem, was mich erwartete. Die Luft stand still zwischen den riesigen grünen Wänden. Man hatte das Gefühl, Wasserdampf einzuatmen. Augenblicklich war ich nassgeschwitzt.

Panshab und ich verabschiedeten uns vom Fahrer und schlugen uns mit einer Machete den Weg ins Grün frei. Im Wald war die Luft noch stickiger. Vögel kreischten und überall tropfte es von den Blättern. Bereits nach fünf Metern war nichts mehr von der Stasse zu sehen.

Riesige Blätter über uns, überall Insekten auf dem Boden und eine unerträgliche Hitze machten das Gehen ziemlich mühsam. Ich verlor schnell die Orientierung und verließ mich auf Panshab. Die nächsten ungefähr fünf Kilometer ging es bergauf. Meine Erschöpfung schob ich auf den mangelnden Schlaf.

Panshab schlug auf einer Hügelkuppe vor, eine Rast einzulegen. Der leichte, warme Wind tat gut. Ich schob mir meine mitgebrachten Snacks rein, um wieder zu Kräften zu kommen. Wir legten an diesem Tag noch weitere sechs Kilometer zurück.

Panshab meinte, dass würde fürs Erste genügen. Eine warme Mahlzeit gab es nicht. Bei der Feuchtigkeit war es illusorisch, an Feuermachen überhaupt zu denken. Aber das wusste ich ja schon vorher. Panshab reichte mir zwei Früchte, die er unterwegs gepflückt hatte und kaute auf etwas herum, das ich nicht definieren konnte, aber auch nicht zu fragen wagte, was es sein könnte. Die Früchte waren ziemlich herb, machten aber hellwach. Dazu gönnte ich mir Haferflocken mit Nüssen.

Schlagartig wird es hier dunkel. Diese Zeilen schreibe ich um 19:30 Uhr mit der Taschenlampe. Es wird Zeit zu schlafen.

16.04.1999
Eintrag 7:50 Uhr - Diese erste Nacht im Dschungel war schlimm. Seit Venezuela bin ich ja schon einiges gewohnt, aber das hier. Meine Haut fühlt sich durch die Feuchtigkeit an wie nasses Leder. Und meine Füße ... Die Hornhaut löste sich durch die Nässe in großen Stücken. Oberhalb meiner Socken habe ich einen roten, juckenden Streifen. Panshab erklärte mir, dass es eine Reaktion auf irgendwelche Insekten sei. Es brennt höllisch. Ich solle es mit einem feuchten Lappen kühlen, meinte mein Führer. Mehr kann ich nicht tun. Nach dem Frühstück gehen wir weiter.

Eintrag 17:40 Uhr - Nachdem wir heute bereits 17 Kilometer zurücklegen konnten, bin ich jetzt fix und fertig. So schlimm hatte ich mir das Klima nicht vorgestellt. Dann auch noch das Grün. Was ich gestern noch als faszinierend empfand, wirkte heute bedrohlich auf mich. Das Grün schloss uns ein wie eine undurchdringliche Wand. In Venezuela erschien mir der Urwald lichter. Man sah auch mal etwas anderes als Grün. Auch das ständige Geschrei der Vögel fängt an, mir auf die Nerven zu gehen.

17.04.1999
Eintrag 7:50 Uhr - Ich fühle mich ziemlich bescheiden. Dabei sind wir erst zwei Tage unterwegs. Die Streifen über meinen Socken sehen eitrig aus. Ich behandele sie mit Alkohol und Jod. Ich habe höllische Angst vor einer Infektion. Ich frage Panshab, wie es heute weitergehen soll. Auf der kleinen Karte zeigt er mir unseren jetzigen Standort und bis wohin wir heute wollen. Es war grob fahrlässig von mir, mich nur auf Panshab zu verlassen. Von nun an wollte ich mich genauestens orientieren können.

Eintrag 17:55 Uhr - Nach nur 14 Kilometern konnte ich heute nicht mehr. Es ging stetig bergauf. Zu allem Überfluss habe ich mir an einem Ast die Hose und den darunter liegenden Oberschenkel aufgerissen. Der Alkohol und das Jod brennen. Die roten Ringe über den Socken scheinen sich zu bessern. Ich achte jetzt besser darauf, die Beine nachts nicht ungeschützt zu lassen.

18.04.1999
Eintrag 8:05 Uhr - Ich fühle mich ziemlich elend. Gestern Abend bin ich so erschöpft gewesen, dass ich über dem Tagebuch eingeschlafen bin. Heute soll es nur bergab gehen. Na ja, wenigstens etwas Hoffnung.

Eintrag 18:30 Uhr - Mir war den ganzen Tag etwas schwindelig. Ich führe es auf die Anstrengung zurück. Fast 24 Kilometer haben wir heute geschafft. Die Talsohle haben wir aber noch nicht erreicht. Panshab macht sich langsam Sorgen wegen meines Zustands. Die roten Streifen eitern wieder. Ich behandele sie wie jeden Abend. Alles wird zur unerträglichen Routine, selbst das Gehen ist nur noch mechanisch. Ich bin müde und will nur noch schlafen.

19.04.1999
Eintrag 8:20 Uhr - Mist, jetzt habe ich auch noch Durchfall. Gut, dass ich Medikamente mitgenommen habe. Wenn es doch nur nicht so heiß und feucht wäre. Panshab sieht mich sorgenvoll an. Der Weg zurück wäre jetzt weiter als der zum Dorf. Allerdings stünde uns heute ein ziemlich beschwerlicher Teil bevor.

Eintrag 18:25 Uhr - Oh mein Gott. Jetzt weiß ich, warum es auch grüne Hölle heißt. In der heute erreichten Talsohle wimmelte es von Blutegeln. Auf den Blättern, an den Ästen, auf dem Boden und an mir. Ich hasse die Mistviecher. Der Durchfall ist nicht besser geworden. Mir ist schwindelig und ich bin ziemlich fertig.

20.04.1999
Eintrag 17:05 Uhr - Ich weiß nicht mehr, wie viel Kilometer wir heute zurückgelegt haben. Ich fühle mich hundeelend. Und immer noch diese verfluchten Blutegel. Meine Beine wollen nicht mehr so richtig. Der Riss hat sich etwas entzündet. Ich trinke viel, weil Panshab mich immer wieder dazu zwingt, sonst will er nicht weiter. Ich nehme auch meine Salztabletten dazu.

21.04.1999
Eintrag ???? Uhr - Ich kann nicht mehr und stehe kurz vor dem Aufgeben. Noch drei Tage. Drei Tage bis zur Rettung? Ich habe beim Laufen eine giftige Pflanze berührt. Durch den Riss in der Hose habe ich jetzt auch noch einen riesigen, roten, brennenden Fleck auf dem Bein.

22.04.1999
Eintrag ???? Uhr - Ich will nicht mehr ... Ich bitte Panshab, allein loszugehen und Hilfe zu holen. Er weigert sich. Ich glaube, ich habe Fieber. Der Durchfall ist immer noch nicht weg. Ich habe Angst.

23.04.1999
Eintrag ???? Uhr - Aus meinem Körper ist jedes Gefühl verschwunden. Panshab schleppt mich weiter. Fieber und Durchfall. Bein ist entzündet.

24.04.1999
Dieser Eintrag beruht auf den Erzählungen von Panshab und ist nachträglich verfasst worden:

Eigentlich sollten wir erst am 24. das Dorf erreichen. Panshab machte sich aber solche Sorgen um mich, dass er mich trotz Dunkelheit und meiner Passivität noch in der Nacht des 23. bis ins Dorf schleppte.

Dort wurde ich erst einmal ein wenig versorgt. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits bewusstlos. Der Fahrer kam zum Glück sehr früh und man brachte mich umgehend ins Krankenhaus.

Hier an dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei Panshab bedanken, der mir eindeutig das Leben gerettet hat.

Nachtrag:
Ich habe ihn inzwischen mehrfach in Malaysia besucht. Wir sind gute Freunde geworden. In den Dschungel gehen wir allerdings nicht mehr.

Epilog:
Drei Wochen verbrachte ich im Krankenhaus in Kuala Lumpur, bis ich die Heimreise antreten konnte. Schwere Mangelerscheinungen durch den Durchfall, Entzündungen am ganzen Körper, vereiterte Wunden und kaputte Füße. Das ist das Ergebnis einer nicht gut vorbereiteten Abenteuerreise. Diese neun Tage waren mit Abstand das Schlimmste, das ich bis dahin durchgemacht habe. Ohne Panshab hätte ich es wohl nicht geschafft. Diese Reise hat mir eindeutig gezeigt, dass auch ich selbst mit meinen Erfahrungen Grenzen habe und diese Grenzen nicht so ohne weiteres von mir ignoriert werden können. Jeder hat seine Grenzen der Leistungsfähigkeit.

MEINE KENNE ICH JETZT ...